Mein erster Leserbrief

Puh, das war und ist wirklich aufregend. Es gibt Momente im Leben, da merken wir: wir sind gefordert. Wir können dann sprechen oder schweigen. Ich habe gesprochen – etwas mulmig ist mir noch, nachdem der Artikel abgeschickt ist.

Kennst Du die Grünen Kreuze, die aktuell überall auf Wiesen und Äckern der Bauern zu finden sind? Ich hab gerade kein Foto, und will wegen Copyright auch keines aus dem Internet nehmen. Darum also und um das, was damit zusammen hängt, geht es mir.

Ein neuer Schritt

Seit ich vor 7 Jahren in den Ländlichen Raum gezogen bin, habe ich selber als Freie Mitarbeiterin Artikel geschrieben, und wurde kürzlich auch schon zweimal in der lokalen Zeitung portraitiert. Aber der Schritt, den ich gestern gegangen bin, ist ein neuer Schritt.
Und das kam so:
Ich war auf einem Vortrag mit Diskussion in unserer Kleinstadt Bad Mergentheim mit ca. 10.000 Einwohnern. Die Naturschutzgruppe hatte einen BUND-Naturschutz-Experten eingeladen. Es ging um das Bienen-Volksbegehren in Baden-Württemberg, das gerade läuft und aktuell ausgesetzt ist, weil die Bauernverbände Alarm geschlagen haben und um ihre Existenz fürchten, wenn auf bestimmten Flächen keine Pestizide mehr eingesetzt werden dürfen oder generell Einschränkungen kommen. Es war gut besucht, der Ton war teilweise gereizt.

Dem Leben antworten – in Verantwortung gehen

Ich wachte am nächsten Morgen danach auf, und mir war klar: Ich hätte etwas sagen sollen. Diese Stimme hat gefehlt.
So ist das manchmal: wir merken erst hinterher, was dran gewesen wäre. Aber dabei wolte ich es dieses Mal nicht belassen. Ich habe geschrieben – ein Leserbrief ist daraus geworden, obwohl das gar nicht so mein Ding ist. Bisher habe ich Leserbriefe eher belächelt, muss ich gestehen. Über diese eigene Scham-Grenze bin ich jetzt gegangen.
Ich habe meine Stimme eingebracht – jedenfalls auf diese Art. Und wer weiß, was jetzt geschieht. Das habe ich jetzt aus der Hand gegeben. Ich stehe da und bin da.

Mir wurde klar: das ist so ein Beispiel des Lebens, was es bedeutet, in Ver-Antwortung zu gehen.

Ich gebe dem Leben Antwort,
indem ich meinem Impuls folge
und ihn in die Welt spreche.

Schauen wir mal, was das Leben als nächstes von mir möchte. Dann gilt es, genau das wieder zu tun: dem Leben eine Antwort geben.

Mein Leserbrief:

„Wie gut, wenn Verbraucher, Naturschützer und Landwirte zusammenkommen – wie kürzlich beim Vortrag der Naturschutzgruppe zum Thema „Bienen-Volksbegehren und Artenschutz“.
Bei den Diskussionen dort wurde mir klar: uns alle alle eint die existentielle Sorge ums Überleben.

Das hat mich sehr berührt – zusammen mit dem Schock, erneut zu hören, dass 40 – 80 % der Insekten verschwunden sind.
Es ist ein Dilemma, dass noch so gut gemeinte politische Naturschutz-Maßnahmen womöglich das Höfe-Sterben vorantreiben – und zugleich auf einer größeren Ebene nicht ausreichen.

Ich behaupte, es geht nicht um das Eckpunktepapier der Landesregierung, Bauern- und Naturschutzverbände und darum, ob Pestizide im Landschaftsschutzgebiet erlaubt werden, oder ob biologisch oder konventionell angebaut wird, denn beide Landwirte sind bedroht.

Ich habe großen Respekt und tiefe Dankbarkeit gegenüber allen Landwirten, Winzern, Gemüse- und Obstbauern, die Tag für Tag für das kostbarste Gut in unserer Obhut sorgen,
und die Nahrung bereitstellen, die bestenfalls unser aller Leben erhält.

Früher war es so, dass die Gesellschaft wie eine Pyramide von einer breiten Bauernschaft getragen war – heutzutage wird die gesamte Bevölkerung von einer zunehmend kleiner werdenden Gruppe von Landwirten ernährt. Wir stehen ziemlich kippelig. Das merken wir im Ländlichen Raum unmittelbar. Klar braucht es auch eine gesetzliche Weichenstellung auf Bundes- oder EU-Ebene, so dass z.B. regionale Bio-Produkte günstiger als konventionelle und ausländische Produkte sind und für jeden deshalb das Produkt der Wahl. Und es braucht bestimmt auch Förderungen in anderer Hinsicht.

Worum es aber wirklich geht, ist, dass wir beginnen miteinander zu sprechen, und dass wir merken: wir sitzen alle in einem Boot.
Theoretisch ist uns das allen klar. Aber wie ich in Diskussionen stets wieder merke, haben alle Beteiligten nicht den Eindruck, dass ihre Not bei den anderen wirklich ankommt. Wie sollen wir so zu Lösungen gelangen? Zumal es einfache Lösungen heute nicht mehr gibt.

Veränderung geschieht, behaupte ich, wenn wir im öffentlichen Raum neu zusammen kommen und wirklich erfahren, in einem Boot zu sein. Denn dann betreten wir eine neue Ebene. Und die Erfahrung von wirklichem Zuhören und Mitgefühl ermöglicht uns den Zugang zur kollektiven Intelligenz, die wir heute dringender denn je brauchen. Zudem entwickeln wir in einem Boot sitzend eine neue Kraft „von unten“, denn Menschen, die wirklich in Verbindung sind, sind nicht gegeneinander auszuspielen und gestärkt gegenüber dem, was „da oben“ vor sich geht.

Wir, die Nicht-Landwirte und Verbraucher,
können uns nicht zurücklehnen und sagen
„Das Regal ist ja voll.“
Die Zeiten der Nicht-Verantwortung sind vorbei.

Experten sagen, mit zunehmendem Artenschwund und Belastung der Ökosysteme nähern wir uns dem „point of no return“. Selbst wenn wir an dem Punkt merken, dass alles Erdenkliche zu tun ein MUSS ist, ist es dann bereits zu spät, denn auch komplexe biologische Systeme kippen irgendwann um. Noch haben wir angeblich entscheidende 10 Jahre, um Prioritäten neu zu setzen.

Ich schreibe hier meinen ersten Leserbrief überhaupt. Es ist mir nicht leicht gefallen, in diese Verantwortung zu gehen, aber ich will meinen Beitrag leisten, meine Stimme erheben.
Ich möchte nicht, dass noch mehr Arten verschwinden, keine einzige mehr.

Diese Woche gab der Bio-Stand auf dem Wochenmarkt bekannt, dass er zum Jahresende schließt. Wieder so ein Schock. Kürzlich hörte ich auch, dass ein ökologischer Winzer in Königheim seine Produktion im Haupterwerb eingestellt und ein Großteil der Reben abgeholzt hat. Noch so ein Schock…
All das wäre ein Anlass, sich über solidarische Landwirtschaft im Taubertal zu unterhalten. Das Konzept steht auf https://www.solidarische-landwirtschaft.org/

Ich würde mich auch freuen, wenn wir solche Runden wie die mit Landwirtschaft, Naturschutz und Verbrauchern fortsetzen und einander wirklich zuhören. Das kommt mir bei herkömmlichen Veranstaltungen zu kurz. Wenn eine Art stirbt, ein Hof stirbt, wenn jemand existentielle Nöte hat, dann darf nicht das Geld und der Markt diese Frage entscheiden. Auch nicht, wenn wir über die Zukunft von Flächen sprechen und ähnliches.

Es braucht, dass wir in Kreisen zusammenkommen, sprechen, zuhören und verstehen, dass wir nicht alleine den heutigen Unlösbarkeiten gegenüber gestellt sind. Nur gemeinsam, wertschätzend – in aller Diversität und Verschiedenheit, die wir mitbringen – können wir kollektive Lösungen finden, die neu und bisher undenkbar sind. Das will ich gern mit ermöglichen.
Ich habe unter anderem die Gruppe der Tauberpioniere gegründet – wir üben und forschen in dieser Richtung. https://www.birte-vehrs.de/tauberpioniere/

Es braucht Mut, Ehrlichkeit, Zeit und Aufmerksamkeit und neue Wege der Begegnung und Moderation (z.B. Soziokratie).
All das ist gut investiert, denn wir spüren richtig:
Das, worum es jetzt geht, betrifft unsere Existenz.

Danke an Dich

Soweit meine Premiere, mein erster Leserbrief.
Dank Dir fürs Lesen bis hierher. Dank Dir fürs Teilhaben, fürs Bezeugen.
Es tut mir gut, diese neuen Schritte zwischen der alten Welt und dem Neuland mit Menschen wie Dir teilen zu können.
Es tut mir gut zu wissen, dass es Menschen wie Dich gibt, die lesen und verstehen.
Die lesen und mitfühlen. Es tröstet mich zu wissen, dass wir viele sind, die an etwas Neuem mitzuwirken und die ihrem Inneren folgen:

„Eine neue Welt, die unser Herz kennt, ist möglich“
Charles Eisenstein

Danke, dass Du auch daran glaubst.
Danke, dass Du diese Schritte wertschätzen kannst.
Danke, dass Du dabei bist.
Das macht mir Hoffnung.
Dank Dir so fürs Dasein und Lesen. Das tut mir gut.

Herzensgrüße von Frederike

11 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Friederike,
    es war spannend und bereichernd Deinen ersten Leserbrief zu lesen. Auch ich habe diese Woche meinen ersten Leserbrief an die ZEIT geschrieben auf einen Artikel zum Thema Klima :-). Dabei habe ich auch auf die fehlende Verbundenheit in unserer Gesellschaft hingewiesen.
    Ja, es ist an der Zeit, dass wir unsere Stimmen erheben und gleichzeitig Räume schaffen, in denen wir wieder zusammen kommen können.
    Ich bin Mitglied der Solidarischen Landwirtschaft und mir schwebt auch vor, ein Permakultur-Projekt ins Leben zu rufen. Für mich ist der Wandel in der Landwirtschaft und ein anderer Umgang mit Mutter Erde einer der Schlüsselpunkte für ein nachhaltiges Leben in der Zukunft.
    Danke für Dein ehrliches, offenes Mitteilen mit so viel Herz!
    Herzliche Grüße,
    Eva

    • Wie wunderbar, Eva! Auch Dir herzlichen Glückwunsch zu Deinem ersten Leserbrief :) Ist ja spannend, dass der in genau dieselbe Richtung geht!
      Und danke für Deine ermutigenden Worte – die kommen an.

      Alles Gute und viele Unterstützug auch für Deinem Weg von
      Frederike

  2. Liebe Frederike,

    danke für Deine liebevolle und behutsame Sprache in einem hoch emotional besetzen Thema. Dein Mut, Deine Berührtheit, Verletzlichkeit und Betroffenheit so auszudrücken berührt und ermutigt mich. Danke.

    Von Herzen Elke

  3. Liebe Frederike
    Danke für deinen Mut, danke für deine starken Worte. Als Inspiration und für weiteren Mut folgender Film über mutige Menschen in Mals im Vinschgau, der ersten pestizidfreien Gemeinde in Europa, dank jahrelangem Einsatz von starken Menschen, die sich durch viele entmutigende Rückschläge nicht bremsen liessen. Der Film ist für kurze Zeit kostenlos online http://wundervonmals.com/film/

    Herzlich Nicolas

    • Danke, Nicolas, für Deine Unterstützung und dass Du den Filmlink zum Wunder von Mals hier teilst! :)
      Ja, Vorbilder machen Mut.
      Ich schaue ihn auf jeden Fall die Tage an.
      Herzlichst, Frederike

  4. :yes:

    Liebe Frederike,

    das sind gut gewählte Worte. Ein toller Leserbrief, weil er Menschen miteinander verbinden will und nicht wie so oft üblich heute, auf Recht und Abgrenzung setzt.
    Glückwunsch zu diesem Schritt.

  5. Liebe Frederike,

    Du hast es gut auf den Punkt gebracht! Hoffentlich wird es gedruckt!
    Und ja, wie oft geht man nach Hause und hat den Mund n icht aufmachen können, wo es angebracht gewesen wäre! Und immer schneller merken wir es und können noch reagieren, so wie Du jetzt!
    Danke fürs Teilen!

    Mechthild

  6. Vielen Dank für Deine Worte, Frederike! Das spricht mir so aus dem Herzen… wie gut, dass du den Leserbrief geschrieben hast, dieser Denkanstoß ist sehr wichtig für die öffentliche Debatte.
    Herzliche Grüße von Mirjam

  7. Liebe Frederike,

    ich hab selten so einen hervorragenden Leserbrief gelesen… eigentlich noch nie. :good:
    Chapeau und Danke dafür!

    Lieben Gruß

    Tamara

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