Diese Depression ist nicht (mehr) meine

Das Thema Müdigkeit, Depression, Burn Out hat mich noch weiter beschäftigt. Es ist etwas, über das man nicht so oft und viel spricht, deshalb ist es gut, das hier noch einmal zu vertiefen.
Es gibt zwei weitere Aspekte, die ich heute beleuchten möchte: wann ist eine Depression nicht Deine und wann kann auch Leiden ein großes Geschenk freigeben.

Diese Depression ist nicht Deine

Wie in meinem anderen Beitrag angesprochen kann es sein, dass Kinder ihre Antennen ganz auf ihr Umfeld ausrichten und versuchen die Stimmung zu stabilisieren, die Eltern zu entlasten oder abzulenken.
Was auch sein kann, ist, dass Kinder eine Last und Gefühle auf sich nehmen, die nicht ihre sind.
Dabei fühlen sich die Gefühle dann später als Erwachsener normal und echt an – z.B. wie Müdigkeit , Erschöpfung oder Depression. Trotzdem kann es sein, dass es sich um übernommene Gefühle handelt. – Wie zeigt sich das?
Dazu gilt es, genau auf die Sprache zu hören, die die Stimme im Kopf spricht. Oder genau zuzuhören, was die größte Angst ist und was auf keinen Fall passieren soll. Das kann einen Hinweis auf eine weitere Ebene geben, die nichts mit der eigenen Person zu tun hat.

Beispiele – übernommene Gefühle

Ein Beispiel könnte sein: „Ich habe Angst, dass ich immer kälter, immer müder werde, alleingelassen und sterbe“. Oder als zweites Beispiel „Ich habe Angst, dass irgendwie zutage tritt, dass ich im Kern nicht wert bin, überhaupt meine berufliche Rolle auszuüben.“

Fällt Dir etwas auf? – Das sind sehr genaue Empfindungs-Beschreibungen, aber sie sind irgendwie merkwürdig. Man fragt sich, wo sie herkommen. Das legt nahe, dass es sein könnte, dass sie gar nicht der eigene Schmerz ist, sondern dass er aus dem Familiensystem übernommen ist. Es ist jedenfalls eine Prüfung wert.

Aus der systemischen Arbeit mit Familien und dem Familienstellen nach Bert Hellinger wissen wir, dass Dramen und Schicksale in einem Familiensystem über viele Generationen wirken können. Sie wirken sich nicht nur auf die Person aus, die sie erlitten hat, sondern auch auf die Nachkommen, die unbewusst aus dem Familienfeld solche Gefühle übernehmen, wenn die Gefühle und Zusammenhänge nicht gesehen und gewürdigt werden konnten.

In dem ersten Beispiel oben könnte es sein, dass es sich möglicherweise um einen Nachkommen handelt, in dessen Familie sich ein Drama ereignet hat z.B. in der Form, dass ein Familienmitglied allein zurückgelassen wurde und erfroren ist. Bei der Flucht aus Ostpreußen gab es solche Schicksale. Wenn der Verlust nicht betrauert werden konnte und keine Möglichkeit war, den Verlust – vielleicht auch das damit verbundene Schuldgefühl der Überlebenden – zu verarbeiten, dann kann es sein, dass es von Generation zu Generation weitergegeben wurde und irgendwann bei einem Mitglied zu einer depressiven Verstimmung mit diesen Sätzen im Kopf führen kann. Das ist jedenfalls eine Möglichkeit.

Im zweiten Beispiel könnte es sein, dass sich ein Mitglied der Familie – womöglich im Rahmen der Firma oder des Berufes – sehr schuldig gemacht hat und sich nicht mehr würdig fühlt, dazu zu gehören.

Anerkennen und zurückgeben ist der Weg

Wenn wir selber solche Gefühle mit uns herumtragen, dann können wir selbst sie nicht „lösen“ indem wir sie fühlen.

Das Fühlen allein erlöst diese Gefühle nicht. Was wir bei übernommenen Gefühlen tun können, ist, dass wir uns bewusst werden, dass es eben nicht unsere sind.
Und dass wir überlegen, zu welchem Vorfahren oder Familienmitglied diese Sätze passen könnten. Deren Schicksal und Leid können wir würdigen, und all die Gefühle, die Schuld, die Verzweiflung oder was auch immer dazugehörte, gefühlsmäßig bei den Personen zu belassen, die es betraf.

Es hilft, eine Familienaufstellung zu machen oder zu jemandem zu gehen, der diese systemische Ebene mit im Blick hat, um uns bei einer Lösung zu unterstützen. Aber wir können auch für uns selbst schon einmal diese Ebene in Betracht ziehen.

Wir erweisen uns, der Familie und dem Familiensystem – was auch immer wir von einzelnen Personen darin halten – einen großen Dienst, wenn wir diese Dramen erlösen.

Inwiefern ist das Leiden nützlich?

Müdigkeit und Depression bedeutet Leid. Ein weiterer positiver Aspekt dieses Leids kann dann zutage treten, wenn wir es leid sind zu leiden. ;-) Niemand leidet freiwillig. Deshalb mag es helfen zu fragen:

Welchen Benefit habe ich von dem Leid, was nützt es mir?
Wessen Liebe oder Loyalität sichere ich mir durch das Leiden oder die Umstände?
Oder wovor bewahrt es mich?
Wessen Missgunst würde ich z.B. ernten, wenn ich bejahend meinen jetzigen Schritt gehen würde, der für mich ansteht?

Wenn ich mich damit beschäftigt habe, ist die entscheidende Frage im Anschluss: Bin ich bereit, diesen Nutzen aufzugeben?

Manchmal reicht es, mich damit zu beschäftigen, um einen solchen Schritt aus dem Leid heraus bewusst machen zu können.
Manchmal braucht es einen großen Leidensdruck. Aber auch der kann weiterführen:
Die progressive Muskelentspannung funktioniert auf die Art, dass wir eine Anspannung sogar verstärken, um sie zu lösen. Wenn wir angespannt sind werden die Muskeln kräftig angespannt – so weit bis wir absolut nicht mehr können und bis die Muskel vor Anspannung zittern. Dann erst sollen sie entspannt werden und dann kann wirkliche Entspannung eintreten.
Vorher hatten der Organismus immer noch genug Kraft, um in Anspannung zu bleiben. Das Hineingehen ins Extrem bringt dann die erlösende Entspannung.

Leiden loslassen

Übertragen auf die Müdigkeit, Niedergedrücktheit, Depression kann es heißen: wenn wir uns ganz verloren haben und wirklich ganz in das Dunkel eingetaucht sind, dann genau dann kann es sein, dass wir das so furchtbar finden, dass wir bereit sind, all diesen Schmerz, dieses Leid, herzugeben und bereit sind zu „sterben“ – im Sinne von Loslassen. Dass wir uns ganz hingeben. Im totalen Aufgeben kann sich unser System vom Ego und seinen Erwartungen, Rollen, Zwängen, Mustern befreien – das Ego stirbt. Und das, was wir eigentlich sind – unsere wahre Essenz, die Verbundenheit mit allem, ein tiefer Frieden, eine stille Freude, eine Öffnung für das Leben – tritt ein. Wir sind am Ursprung angelangt.
Wir spielen keine Rolle mehr, entsprechen keinen Erwartungen mehr, sondern sind wir selbst, authentisch und frei.

Welch ein Geschenk dann in dem Leiden verborgen war!

Unterstützung ist normal

Ich wünsche allen, dass sie Wege finden, die zu dieser Befreiung führen oder sich Unterstützung holen, wenn sie sich verloren haben. Wir alle sind ab und zu an einem Punkt, der schwierig ist.
Mit Unterstützung ist vieles leichter. Wir sind als Menschen soziale Wesen: so vereinzelt wie wir heutzutage leben hätte die Gattung Mensch auf der Erde nicht überlebt. Dass wir ein Miteinander brauchen ist tief in unseren Genen und unserem Wesen angelegt. Deshalb ist es kein Manko, Begleitung in Anspruch zu nehmen, sondern biologisch gesehen die einzig richtige Wahl ;-)

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